Führungsambivalenzen: Zwischen zu viel Wissen und wachsender Verunsicherung
Führung war nie einfach. Doch heute ist sie komplexer, widersprüchlicher und ambivalenter denn je.
Zwischen agilen Methoden, partizipativer Kultur und steigenden Leistungsanforderungen entsteht ein Spannungsfeld, das viele Führungskräfte spürbar verunsichert.
Dabei herrscht kein Mangel an Wissen – im Gegenteil.
Führungskräfte haben heute Zugriff auf eine Fülle an Konzepten, Modellen und Best Practices.
Und doch erleben viele: Je mehr sie wissen, desto unsicherer werden sie.
So viel Wissen – und dennoch wachsende Verunsicherung
Führungstrainings, Podcasts, Bücher, LinkedIn-Impulse:
Führungskräfte werden täglich mit neuen Ansätzen konfrontiert, wie „moderne Führung“ auszusehen hat.
Mal soll sie coachend und empowernd sein, mal klar entscheidend, mal situativ angepasst, mal agil, empathisch, konsequent, positiv, achtsam usw.
Das Ergebnis?
Ein innerer Spagat zwischen widersprüchlichen Erwartungen:
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normativ oder coachiv?
Soll ich klare Orientierung geben – oder lieber Fragen stellen und reflektieren lassen? -
direktiv oder partizipativ?
Wann muss ich führen – und wann begleiten? -
ergebnisorientiert oder menschenzentriert?
Wie finde ich Balance zwischen Performance und Beziehung?
Viele erleben diese Spannungen als Belastung. Doch sie sind kein Zeichen von Schwäche, sondern Ausdruck der Realität, in der Führung heute stattfindet:
komplex, dynamisch, paradox.
Weg vom “Entweder-Oder” – hin zum “Sowohl-als-auch”
Die gute Nachricht:
Führung ist kein Dogma.
Sie braucht kein „richtig“ oder „falsch“ – sondern Bewusstheit für die Situation, den Kontext und die Menschen.
Wer glaubt, sich für einen Führungsstil entscheiden zu müssen, blockiert sich selbst.
Moderne Führung erfordert die Fähigkeit, Ambivalenzen auszuhalten und bewusst mit ihnen zu arbeiten.
Ein Beispiel:
Eine Führungskraft, die nur coachend agiert, läuft Gefahr, Verantwortung zu verwässern.
Eine Führungskraft, die nur direktiv führt, verhindert Entwicklung.
Wirksamkeit entsteht in der Beweglichkeit dazwischen.
Das „Sowohl-als-auch“ ist keine Beliebigkeit – es ist eine Haltung, die Komplexität integriert.
Ambivalenzen anerkennen heißt, Reife zu zeigen
Führung ist nur zum Teil eine Frage von Techniken, sondern mehr von innerer Reife.
Die Fähigkeit, Widersprüche zu erkennen, ohne sie sofort auflösen zu müssen, ist Kern moderner Führungskompetenz.
Das bedeutet:
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Nicht alles wissen zu müssen und Lösungen liefern zu müssen.
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Spannungen zwischen Klarheit und Empathie auszuhalten.
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Entscheidungen zu treffen – und zugleich lernoffen zu bleiben.
Diese innere Beweglichkeit entsteht nicht durch Modelle, sondern durch Reflexion und Bewusstheit – zwei zentrale Elemente in der Führungsentwicklung und im Coaching.
Coaching als Raum für Ambiguitätstoleranz
In Coachings und Coachingausbildungen erleben wir immer wieder:
Wenn Führungskräfte lernen, sich selbst in diesen Ambivalenzen zu beobachten, entsteht neue Leichtigkeit.
Sie entdecken:
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dass Unsicherheit kein Zeichen von Schwäche ist,
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dass Führung weniger Kontrolle und mehr Beziehung bedeutet,
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dass sie auch dann wirksam bleiben können, wenn nicht alles eindeutig klar und planbar ist.
Coaching fördert genau diese Kompetenz: Ambiguitätstoleranz – die Fähigkeit, Widersprüchlichkeit zuzulassen, ohne die eigene Handlungsfähigkeit zu verlieren.
Führung braucht Bewusstheit, nicht Gewissheit
Führung ist keine lineare, standardisierbare Disziplin.
Sie ist ein Balanceakt zwischen Einfluss und Vertrauen, zwischen Struktur und Freiheit, zwischen Haltung und Handlung.
Der Ausweg aus der Führungsverunsicherung liegt nicht im nächsten Patentrezept, sondern im bewussten Umgang mit den Spannungen selbst.
Wer das „Sowohl-als-auch“ kultiviert und sich löst von der Erwartung, jederzeit eine eindeutige Antwort liefern zu müssen,
führt souveräner, klarer – und menschlicher.
Lassen Sie uns gerne in einem Kennenlerngespräch näher dazu austauschen.